Hippokrates von Kos, geb. um 460 v. Chr., gest. 370 v. Chr. in Larisa (?; Thessalien), griechischer Arzt aus einer alten Arztfamilie, die ihren Stammbaum auf den Heilgott Asklepios zurückführte. Er gehörte als Begründer der wissenschaftlichen Medizin zu den bedeutendsten Ärzten der Antike; um seine Person bildeten sich zahlreiche Legenden. Von den 58 zum Corpus Hippocraticum zusammengefaßten Schriften, die Lehrgut verschiedener medizinischer Schulen enthalten, kann nicht eine einzige mit Sicherheit Hippokrates als Verfasser zugewiesen werden. Sie wurden in der Zeit vom 5. Jh. v. Chr. bis zum 1. Jh. n. Chr. verfaßt, die meisten stammen jedoch aus dem 5./4. Jh. v. Chr. Mit der hippokratischen Medizin vollzog sich die Abkehr von religiös-magischen Vorstellungen und die Hinwendung zu einer durch die ionische Naturphilosophie vorgezeichneten rationalen Erklärung aller die Gesundheit und Krankheit des Menschen betreffenden Vorgänge. Krankheiten galten nicht mehr als gottgesandt ("Über die heilige Krankheit"), sondern als durch erklärbare Urachen, z. B. Umwelteinflüsse, bedingt ("Über Luft, Wasser und Ortslagen"). Die Gesundheit beruhte nach hippokratischer Lehre auf der richtigen Mischung der vier Körpersäfte Blut, Schleim, gelber und schwarzer Galle (Humoralbiologie; "Über die Natur des Menschen"), die gestörte Mischung bedeutete Krankheit (Humoralpathologie), in deren Verlauf durch einen Kochungsprozeß die richtige Mischung (d.h. die Gesundheit) wiederhergestellt wurde. Ihre Aufgabe sahen die hippokratischen Ärzte darin, im Krankheitsfall das im menschlichen Organismus begründete Streben nach Wiederherstellung der Gesundheit (Physis) zu unterstützen. Genaue Beobachtung am Krankenbett und das Eingehen auf die individuelle Physis jedes Patienten leisteten ihnen hierbei wertvolle Hilfe ("Prognostikon"). Ihre therapeutischen Maßnahmen beschränkten sich im wesentlichen auf diätetische und naturheilkundliche Verordnungen. In der Chirurgie wurden insbesondere knochenchirurgische Eingriffe vorgenommen. Die hippokratische Säftelehre beherrschte die medizinischen Vorstellungen der ganzen Antike und des Mittelalters und wirkte in leicht modifizierter Form bis in das 19. Jh. hinein. Die ethisch hochstehende Haltung der hippokratischen Ärzte gegenüber dem Patienten, die z. T. noch heute die Grundlage des ärztlichen Handelns bildet, war im sog. Eid des Hippokrates festgelegt.
Quelle: Lexikon der Antike
Text: J. Kollesch