Ärzteschule

Das empirische medizinische Wissen der griechischen Frühzeit wurde innerhalb einzelner Ärztefamilien weitergegeben. Infolge des ständig wachsenden Ärztebedarfs wurde im Verlaufe der Zeit auch Blutsfremden gegen Bezahlung die Teilnahme am Unterricht gewährt. Damit waren die Ansätze zur Auflösung der Familienverbände gegeben, und es entwickelte sich allmählich ein regelrechter Schulbetrieb, der in der medizinischen Ausbildung der Antike eine entscheidende Rolle spielte. Durch die Verschiedenheit ihrer Lehren erhielten die einzelnen Ärzteschulen, die teils nach ihren Heimatorten, teils nach den Besonderheiten ihrer Lehrsysteme benannt wurden, ihr Gepräge, wobei sich der zwischen ihnen geführte Meinungsstreit fördernd auf den Umwandlungsprozeß der urspr. rein empirischen Heilkunde in eine rationalwissenschaftliche Medizin auswirkte. Die sog. westgriechische Heilkunde, vertreten durch Demokedes und Alkmaion von Kroton, hatte sich im 6./5. Jh. v. Chr., vermutlich unter dem Einfluß pythagoreischer Lehren, in Süditalien und Sizilien herausgebildet. Von ihren Theorien haben besonders die Pneumalehre, die Theorie vom Herzen als Sitz des Zentralorgans und die Lehre von den vier Elementen auf die spätere Medizin eingewirkt. Die Ärzteschule von Knidos entwickelte im 5./4. Jh. v. Chr. eine differenzierte Krankheitslehre unter Hintansetzung des individuellen Krankheitsgeschehens. Die Ärzteschule von Kos (5./4. Jh. v. Chr.), deren berühmtester Vertreter Hippokrates war, stellte dagegen das individuelle Krankheitsgeschehen in den Vordergrund ihrer Lehre und hob die Wichtigkeit der Einzelbeobachtung am Krankenbett und der Berücksichtigung von Umwelteinflüssen hervor. Keinen eigentl. Schulverband bildeten die erst in späterer Zeit wegen der Überbewertung der Theorie so genannten dogmatischen oder logischen Ärzte, die im 4. Jh. v. Chr. die medizinischen Lehren von Kos und Knidos (z. B. Säftelehre) unter dem Einfluß der platonischen und aristotelischen Philosophie hauptsächlich mit Hilfe theoretischer Spekulation weiter ausbauten. Als Reaktion auf die Überbetonung der Theorie seitens der dogmatischen Ärzte wurde im 3. Jh. v. Chr. die empirische Ärzteschule gegründet, die in Anlehnung an die Lehren der skeptischen Philosophen den Wert der theoretischen Forschung leugnete und nur die Erfahrung als Grundlage der Medizin gelten ließ. Ihr besonderes Interesse galt der Pharmakologie und der Hippokrateserklärung. Im 1. Jh. v. Chr. entstand in Rom die methodische Ärzteschule, die auf der Grundlage der epikureischen Atomistik eine auf drei Krankheitsformen reduzierte und daher rasch erlernbare Heilmethode entwickelte. Die pneumatische Ärzteschule wurde um 50 v. Chr. ebenfalls in Rom gegründet. Sie variierte die Lehren der dogmatischen Ärzteschule durch Übernahme stoischer Anschauungen (Pneuma = Lebensprinzip, Herz = Zentralorgan, Sympathiebegriff) und führte Gesundheit und Krankheit auf die Beschaffenheit des Pneumas im Körper zurück. Im ausgehenden 1. Jh. n. Chr. spaltete sich eine zwischen den einzelnen Ärzteschulen vermittelnde eklektische Richtung ab.

Quelle: Lexikon der Antike
Text: J. Kollesch